Am 02.10.2020 erging im Namen des Bündnisses folgende Stellungnahme zu der Begutachtung der Verordnung gemäß § 6 Abs. 3 Tiroler Mindestsicherungsgesetz GZ Va-777-1333/559
Am 02.10.2020 erging im Namen des Bündnisses folgende Stellungnahme zu der Begutachtung der Verordnung gemäß § 6 Abs. 3 Tiroler Mindestsicherungsgesetz GZ Va-777-1333/559
Sehr geehrter Herr Landeshauptmann!
Sehr geehrte Regierungsmitglieder!
Sehr geehrte Abgeordnete zum Tiroler Landtag!
Die Bundesregierung hat nach monatelangem Lavieren nun ihre Eckpunkte zu einer neuen österreichweiten Mindestsicherung vorgestellt. Der Gesetzesentwurf zur Novellierung hat unsere Befürchtungen bestätigt: Die Mindestsicherung soll in ihrem Kern ausgehöhlt und zu einem Instrument der sozialen Ausgrenzung umgebaut werden.
Das „Bündnis Tirol“ ist ein Zusammenschluss von über 300 Einrichtungen, Institutionen und Dachverbänden in Tirol. Wir vertreten die gesamte Bandbreite von Menschen die durch Regelungen in der Mindestsicherung / Sozialhilfe unmittelbar in ihren Lebensverhältnissen betroffen sind.
Die Sozialpolitik der Regierung bereitet uns nicht nur Unbehagen, sondern erfüllt uns zunehmend mit Fassungslosigkeit und Zorn. Wir sind aber der Überzeugung, dass es noch nicht zu spät ist, dieser Politik der Menschenverachtung und Hetze entschieden entgegenzutreten. Ebenso sind wir davon überzeugt, dass es von Seiten der Bundesländer und der Gemeinden, wo immer es möglich ist, einen Schulterschluss braucht, der diesem Treiben ein Ende bereitet.
Sie, Herr Landeshauptmann, haben in den vergangenen Jahren wiederholt gezeigt, wo die Grenze zwischen gesellschaftlicher Modernisierung und sinnlosem Abbau von hart erkämpften (sozialen) Rechten verläuft. Die Novellierungen des „letzten sozialen Netzes“ in der Vergangenheit in Tirol waren von harten Einschnitten gekennzeichnet. Trotzdem blieben die Ziele und Grundsätze des Gesetzes, Armut und soziale Ausgrenzung zu verhindern, weiterhin erkennbar.
Die geplante Sozialhilfe NEU dagegen präsentiert sich in erster Linie als Disziplinierungs- und Bestrafungsinstrument und wird Menschen, die auf Mindestsicherung angewiesen sind, in die chronische Armut führen. Neben dem generellen Ausschluss von Menschen aus der „Sozialhilfe NEU“ (strafrechtlich Verurteilte, subsidiär Schutzberechtigte, …) sind u.a. auch Familien mit Kindern, behinderte Menschen, Pensionist*innen und auch Arbeiter*innen mit geringem Einkommen die großen Verlierer*innen dieser Novellierung.
Der
„Spielraum“, der den Ländern neben der absoluten Deckelung eingeräumt wird, um
regionale Unterschiede abzufedern, wird bei Weitem nicht ausreichen, um in
Tirol zukünftig von einer Existenzsicherheit bzw. von der Beseitigung einer
Notlage auszugehen.
Zusätzlich befürchten wir die Gefährdung
des sozialen Friedens, da der Solidaritätsgedanke zur Gänze ausgehebelt,
die Bevölkerung in „Leistungsträger und Leistungsempfänger“ aufgeteilt wird, ohne
Berücksichtigung von strukturellen oder individuellen Rahmenbedingungen
(niedrige Löhne, hohe Lebenshaltungskosten, Erkrankung, …).
Unabhängig von der unmittelbaren Auswirkung auf betroffene Menschen, wird bereits jetzt von Jurist*innen die Verfassungskonformität dieses Gesetzesentwurfes angezweifelt.
Tirol hat vieles zu verlieren, wenn seine Bürger*innen nicht mehr auf das christlich-soziale Gewissen zählen können und soziale Kälte und Gleichgültigkeit gegenüber den Anderen das Leben bestimmt.
Herr Landeshauptmann, wir appellieren dringend an Sie, Ihr gesamtes politisches Gewicht einzusetzen, um die Sozialhilfe NEU in dieser Form zu verhindern! Gehen Sie mit Ihrem Team den mutigen Schritt und überzeugen Sie die Regierung in Wien, einen anderen Weg einzuschlagen! Noch ist es nicht zu spät.
Unsere Unterstützung und die von zehntausenden von Tiroler*innen, die wir vertreten, sind Ihnen gewiss. Bei einem persönlichen Termin würden wir mit Ihnen gerne die Auswirkungen auf Menschen in Tirol im Detail besprechen.
Mit
besorgten Grüßen
die Unterzeichner*innen
Beilage
Stellungnahme zum Entwurf des Sozialhilfegrundsatzgesetzes des Bündnisses
Ergeht abschriftlich an den
Bürgermeister der Stadt Innsbruck – Herrn Georg Willi
und an den Bundespräsisdenten Dr. Alexander Van der Bellen
Unserer Stellungnahme haben wir den Gesetzesentwurf mit der Geschäftszahl: 104/ME XXVI, GP samt ergänzenden Erläuterungen zugrunde gelegt.
Das „Bündnis Tirol“ ist ein Zusammenschluss von über 300 Einrichtungen, Institutionen und Dachverbänden in Tirol. Wir vertreten die gesamte Bandbreite von Menschen die durch Regelungen in der Mindestsicherung / Sozialhilfe in ihren Lebensverhältnissen betroffen sind.
Wir haben, soweit uns dies möglich war, als Vergleich nicht nur das geltende Tiroler Mindestsicherungsgesetz, sondern auch die entsprechenden Gesetze der anderen Bundesländer für die Begutachtung herangezogen, um Auswirkungen auf den vorliegenden Entwurf eines Grundsatzgesetzes möglichst flächendeckend beurteilen zu können.
Vorab ist folgendes
festzuhalten:
Wird das Gesetz in dieser Form beschlossen, bedeutet das einen Rückschritt in
die Zeit vor der Erlassung von Sozialhilfegesetzen in den Siebzigerjahren des
letzten Jahrhunderts. Der Gesetzesentwurf präsentiert sich in erster Linie als
Disziplinierungs- und Bestrafungsinstrument.
Die Ziele der Mindestsicherung (nun Sozialhilfe) werden grundlegend verändert. Die bisher obersten Grundsätze des letzten sog. sozialen Netzes in Österreich, die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, die Überwindung von Notlagen und die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, wurden ersatzlos gestrichen. Dafür wurden Ziele definiert, die weder durch die Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe erreichbar sind, noch deren Aufgabe sein dürfen (Integrationspolitische und fremdenpolizeiliche Ziele, Förderung der Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes, sowie strafrechtliche Nebenstrafen).
Die formulierten Höchstgrenzen (siehe § 5) ermöglichen in keinem Bundesland ein menschenwürdiges Leben. Noch einmal dramatischer stellen sich die Folgen für Bundesländer wie Tirol dar, wo hohe Lebenshaltungs- und Wohnkosten auf ein niedriges Lohnniveau treffen. In Tirol führen die geplanten Regelungen ohne Ausnahme für alle betroffenen Menschen zu weiterreichenden Kürzungen (bis zu 100% der hoheitlichen Unterstützung).
Die betroffenen Menschen werden durch den Beschluss dieser Regelungen in die Verelendung getrieben. Folgend sollen nur einige der zahlreichen negativen Auswirkungen des Gesetzesentwurfes benannt werden:
Abschließend ist zu kritisieren, dass der Bund in diesem Grundsatzgesetz Maximalbeträge bzw. Höchstsätze anstelle von Mindeststandards festlegt. Den Ländern werden durch den vorliegenden Entwurf praktisch keine Spielräume für adäquate, spezifische Problemlösungen vor Ort eingeräumt. Die Regelungen sprengen teils sogar den verfassungsrechtlichen Rahmen eines Grundsatzgesetzes.
Darüber hinaus entspricht die Qualität des Gesetzesentwurfes auch hinsichtlich der Lesbarkeit und Bestimmtheit nicht dem rechtsstaatlichen Prinzip. So bleibt insbesondere die Regelung gem. § 5 Abs. 5 des vorliegenden Entwurfes missverständlich und determiniert die weitere Ausgestaltung des Gesetzes durch die Bundesländer nicht in der gebotenen Klarheit und Eindeutigkeit.
Insgesamt ist der
Entwurf aus den angeführten Gründen in seiner Gesamtheit abzulehnen.
Ein Gesetz, das menschenwürdiges Leben sichern und existenzsichernde Maßnahmen,
sowie das Ziel einer funktionierenden Gesellschaft erreichen will, muss
grundlegend anders verfasst sein.
Dies setzt einerseits ein grundlegendes anderes Verständnis von sozialer Absicherung und andererseits die Einbindung von Fachleuten aus der Praxis und den Ländern voraus.
Die Bundesregierung wird daher dringend ersucht, von der Umsetzung dieses Gesetzes Abstand zu nehmen!
Mit freundlichen Grüßen
die Unterzeichner_innen
§ 1 Tiroler Mindestsicherungsgesetz:
„Ziel ist es Armut und Ausgrenzung zu bekämpfen und BezieherInnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.“ Dafür setzen wir uns ein.
Mit 1. November ist nach einer Übergangsfrist die Tiroler Mindestsicherung NEU in Kraft getreten. Eine der gravierendsten Veränderungen im neuen TMSG ist, dass von der Übernahme der tatsächlichen, ortsüblichen Wohnkosten sowie der systematischen Trennung von Wohnkosten und Lebensunterhalt abgegangen wird. Die Wohnkosten werden in einer Höhe gedeckelt, die weit unter den realen Mietpreisen am privaten Wohnungsmarkt liegen. Teilweise liegen auch die Mietkosten von gemeinnützigen Wohnungen über den beschlossenen Deckelungen (z. B. Innsbruck Land Deckelung für 3 Personen bei € 591,–, gemeinnütziger Wohnbau TIGEWOSI drei Zimmer € 850,–).